Gespräch: Demokratie und Architektur

Gespräch: Demokratie und Architektur

Vortrag in Bonn-Bad Godesberg, 22.06.1989

Das Thema, über welches ich vortrage, ist weit und groß. Je länger man sich damit beschäftigt - und unser Büro ist seit langem damit befasst - wir versuchen seit nunmehr 17 Jahren für den Deutschen Bundestag ein Gebäude zu planen - umso vielfältiger und weitverzweigter erscheint dieses Thema. Einiges von dem, was ich erfahren - und glaube, auch erkannt zu haben, trage ich vor.

Und gestatten Sie hier schon den Hinweis, dass dasjenige, was schon mittels des differenzierter entwickelten und handhabbareren Materials Wort und seines Gefüges schwierig ist, nämlich: sich klar auszudrücken, ungemein schwieriger wird und spröder beim Bauen, wenn man arbeitet mit Stahlträgern, Glasscheiben, Leichtmetallprofilen und Dienststellen der Exekutive, also mit von sich aus eigensinnigen und störrischen Elementen.
Bei meinem Vortrag muss ich manchen enttäuschen, auch Freunde, die im Voraus angemahnt hatten, ich sollte doch ja etwas über dies und das sagen, über Profitopolis z.B., über Städtebau, Regionalplanung, den Individualverkehr, über die Planungen der Konzerne, über Industriebau über den Petersberg, etc.
Tut mir leid: Alles geht nicht in diesen 30 Minuten.

Ich nehme an, dass die Bauten für die Demokratie quasi von alleine entstehen. Schon vom Bedarf her. In unserer demokratisch verfassten und föderalistisch gegliederten Bundesrepublik gibt es viele Einrichtungen, die das Funktionieren unseres Staates ermöglichen und sichtbar werden lassen und die man möglicherweise dann schon als Bauten der Demokratie – so ganz allgemein - bezeichnen könnte; auf verschiedenen Ebenen.
In den Gemeinden etwa, wir denken hier an Rathäuser mit ihren Ratssälen, an Ortsverbände der Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Vereine usw. Jeder hat s e i n e n Ort, hat s e i n Haus, s e i n Büro, s e i n e Adresse, s e i n Namensschild, s e i n e n Parkplatz usw. Und wenn man die Sache so betrachtet, dann sind die Einzelwohnhäuser die Residenzen der Familien - oder meinetwegen auch einer kleinen Gruppe - und als solche einfach richtiger als die Mietwohnungshäuser, zumal dann, wenn diese unübersichtlich werden (wir nennen diese Einzelhäuser heute nicht mehr richtig stimmend "Einfamilienhäuser").
Auch auf der Ebene der Landkreise gibt es Einrichtungen, auch bei den Landschaftsverbänden, bei den Bundesländern selbstverständlich. Dort ist geradezu ein Wettbewerb um die beste Darstellung des jeweiligen Landes und seiner Organe entbrannt.

Und nicht zuletzt Einrichtungen auf der Ebene der Bundesrepublik Deutschland, besonders hier in Bonn natürlich, aber auch in anderen Städten, in Karlsruhe zum Beispiel, auch in Berlin usw. Überall also sichtbare Zeichen der Art und Weise, wie Staat und Gesellschaft sich geordnet haben,
funktionieren.

In Bonn sollen im Gebiet zwischen Adenauerallee und Rhein die wichtigsten Bauten der Verfassungsorgane des Bundes liegen: Der Sitz des Bundespräsidenten, Gebäude des Deutschen Bundestages, Anlagen des Bundesrates, das Bundeskanzleramt, Vertretungen der Bundesländer usw. Vor ca. 10 Jahren hatten wir vorgeschlagen, in der Mitte dieses Ensembles einen weiten, offenen Freiraum zu schaffen. seinerzeit nannten wir das "Grüne Mitte". Einen Raum also, in dem das Volk - von dem ja alle Macht ausgeht - auch seinen Ort findet. Dieses vielleicht in der gelösten Art wie zum Beispiel der Hydepark in der Nähe des Marble-Arch funktioniert.
Ich hoffe immer noch, dass man diesen Ansatz weiterverfolgt, und ich hoffe, dass dieser Raum nicht in die Hände von "Gestaltern" gerät, von Leuten also, die den Dingen nicht zur eigenen Art und Gestalt verhelfen, die vielmehr den Dingen eine vom Gestalter gewollte Art und Gestalt aufpressen.

Dieses skizzierte Ensemble Verfassungsorgane vertretender Bauten existiert schon heute in vielen Teilen. Es wird ergänzt durch Einrichtungen der Parteien, durch Bauten der Verbände und durch Einrichtungen und die Allgegenwart von Presse, Radio, Fernsehen etc. Nimmt man dazu die Stadt Bonn mit ihrer Vielfalt und den "deutschen" Rhein, die Schiffe, die Rheinufer, die Rheinterrassen, die Rheinauen, das Siebengebirge, die Adenauerallee, die Alte Koblenzer Landstraße, Königswinter und manch anderes mehr, dann entwickelt, dann entfaltet sich hier eine "Gestalt", in der Ideal und Realität unseres Staates, Zeit, Ort, Situation, Geschichte, Eigenart und manch anderes mehr eingebettet, präsent und erkennbar sind.
Quantitativ ist also viel da in Bonn und im ganzen Lande, was unsere Verfassung und unsere Praxis, die Organisation unseres Staates, unsere Gesellschaft vertreten und auch repräsentativ darstellen kann. Das "Wie", sicher, das ist auch wichtig. Aber im Zusammenhang mit dem Ensemble in Bonn können wir das auch gelassen angehen. Unserer Verfassung und unserer Praxis entsprechend sprechen und wirken viele Instanzen, Stellen und Persönlichkeiten mit bei der Entwicklung dieses Bereiches. Schon dadurch werden – so hoffe ich wenigstens - die großen pathetischen Lösungen verhindert.
Wenn alles gut geht, wird schon ein differenziertes, vielfältiges, kleingliedriges, wohltemperiertes Ensemble entstehen. Wahrscheinlich müssten wir nur wachen darüber, dass nicht in einem unbeachteten Moment eine sogenannte große Persönlichkeit durchbricht mit einer "großen Idee".

In diesem Zusammenhang möchte ich hinweisen darauf – auch wenn es diejenigen, die sich engagiert haben, treffen mag - dass es auch seine guten Seiten hätte, dass und wenn das zunächst geplante neue Geschichtsmuseum in Berlin nicht, oder noch nicht, jedenfalls nicht in der schnellen und "imposanten" Art entstehen wird. Denn das würde ja auch zu den hier angesprochenen Bauten gehören.
Mir wurde erzählt: Vor einiger Zeit habe ein Architekt seine Arbeit für eine politisch bedeutende Aufgabe vorgestellt unter anderem mit dem Hinweis, dass es politische Architektur nicht gäbe, sondern nur gute oder schlechte Architektur. Er wollte wohl sagen, dass er gute Architektur verspricht - das mag hingehen -, und dass Wohlverhalten seitens des Architekten erwartet werden könnte. Jedenfalls müsste niemand rechnen mit der Aufsässigkeit eines Michelangelo, Goya, Daumier, Grosz oder mit der Anklage einer Käthe Kollwitz. Seine Behauptung mag zu seinem augenblicklichen Erfolg beigetragen haben. Dennoch ist sie irreführend.
Selbstverständlich, es gibt Architektur sowohl im Auftrag der ''Politik'' wie auch dazu mit ihr ''politische Ziele" zu erreichen, und: Alles Handeln hat auch politische Momente und schließlich widerspiegelt Architektur doch die Art und Weise wie wir mit unserer Welt umgehen.
Ich erinnere an extreme Beispiele: Die Planungen Hitlers und Speers für Berlin zum Beispiel, oder die für Nürnberg, für das Reichparteitagsgelände. Aber auch die städtebaulichen Planungen der DDR der fünfziger und sechziger Jahre sind in politischem Auftrage geschehen. Auch Versailles oder das Palais Karls des V. in Granada, der Petersdom in Rom, die Barockarchitektur der Gegenreformation in Süddeutschland ...
Und aus unserer Zeit dann zum Beispiel der Olympiapark in München, der war doch politisch "programmiert" durch Daume und Vogel, bevor dort überhaupt ein Architekt tätig wurde. Diese politischen Programme haben wir in Architektur ausgeformt. Zt. und materiell sichtbar und erlebbar gemacht. Aber diese Programme existierten vor Architektur. Wir haben demjenigen zur materiellen, sichtbaren, sinnlich erfahrbaren Welt verholfen, was ohnehin vorhanden war, bis dahin immateriell im Bereiche der Ideen.
Sicher, Architektur kann vielfältig gesehen und unter unterschiedlichen Aspekten akzentuiert werden. Aber es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass Architektur auch vom Politischen her bestimmt wird und dass Architektur politisch wirksam ist. Ein Blick in Meyers Lexikon genügt. Dort steht unter Politik zum Beispiel "Auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Verhalten und Handeln" und "Mit der Auswahl der Interessen bestimmt Politik zugleich die Lebens- und Entwicklungschancen der Gesellschaftsmitglieder." Oder auch "Im modernen Staate stehen alle gesellschaftspolitischen Bereiche wie zum Beispiel Verfassung und Recht, Wirtschaft und Handel, Wissenschaft, Bildungswesen und Technik, Arbeit, Freizeit und Gesundheitswesen der Gestaltung und Einflussnahme durch die Politik offen."
Und das sind doch genau diejenigen Bereiche, für die auch wir arbeiten; von daher kommen doch unsere Aufgaben.

Wir lösen politisch gestellte Aufgaben. Wir arbeiten in politisch vorgegebenem Rahmen. Und wir sind politisch wirksam, indem wir die Lebens- und Entwicklungschancen der Gesellschaftsmitglieder beeinflussen, wenn wir - und das müssen wir - Interessen und Bedürfnisse und Möglichkeiten auswählen, fördern und jeder zurückweisen.

Ich hoffe, wir stimmen bis dahin überein.
Dann die Fragen:
"Was ist das Demokratische?"
"Wo ist dies wirksam?"
"Welche Planungsaufgaben betrifft dies?"
"Wie wirkt sich das in Architektur und Städtebau aus?"
"Wie kommt das hinein in die Architektur und in den
Städtebau?"
"Wer oder was kann das bewirken?"
"Wer oder was kann das behindern?"
"Ist das fertige Produkt das Ziel, oder ist der Weg das Ziel?"

Also: Was ist in unserer Situation das Demokratische, welches Architektur prägen sollte?

Das ''Demokratische" an sich, dieser Begriff ist ein "Überbegriff" und lässt sich so nicht direkt bauen. Auch das "Absolute" oder das "Totalitäre" allgemein lassen sich nicht bauen. Wir müssen fragen: "Was ist das Demokratische oder was ist das Absolute oder Totalitäre in der speziellen Situation". Theoretisch können wir uns auch eine absolute Herrschaft vorstellen, die vor allem dem Wohle und der Menschenwürde der Mitglieder der Gemeinschaft und anderen höheren Zielen dient. In Bauten einer solchen Gesellschaft werden sich dann möglicherweise eben diese Werte realisieren.

Man muss schon schauen danach, welcher Anspruch und welche Werte absolut vertreten werden.
In Versailles zum Beispiel realisierte sich der absolute Anspruch des Herrschers, gottähnlich oder besser götternahe zu sein und von dieser zentralen Position aus Natur-Welt und Menschen-Welt zu ordnen nach eigenem Willen und in Bezug auf sich selbst als Mittelpunkt.
Selbstverständlich, in gleicher Zeit entstanden im gleichen Staate auch andere Bauwerke, solche, die wenig geprägt waren von diesem Anspruch des Absoluten; Bürgerhäuser zum Beispiel oder Bauernhäuser, die nur indirekt bestimmt worden waren durch den Anspruch des Herrschenden, eher durch die Art und Weise, wie durch diesen Anspruch die Gesellschaft geordnet und wie das Sozialprodukt verteilt war.

In einem demokratisch verfassten Staate, in einem "nachindustriell" entwickelten Staate sind die Verhältnisse unschärfer und differenzierter.

Macht ist dezentral, ist in der Regel nicht absolut einerseits, aber auch weniger klar erkennbar andererseits. Selbst staatliche Macht ist aufgeteilt und föderalistisch placiert. Aber nicht alles funktioniert "demokratisch". So wie in einem absoluten Staate Einzelheiten durchaus durch demokratische Verfahren geregelt werden könnten, können in einem demokratisch verfassten Staat Einzelheiten absolut und undemokratisch geregelt werden, zum Beispiel im Bereich der Industrie oder in übernationalen Gremien; Entscheidungen fallen dort, die uns alle existenziell treffen können, die weder demokratisch entstehen noch kontrolliert werden.

Also: Was ist das Demokratische heute, bei uns? Wohl nicht alleine die Prozeduren. Und mit dem von Abraham Lincoln 1863 formulierten Begriff "Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk" - so treffend diese Formulierung ist – kommen wir auch nicht weiter. Das ist sehr allgemein.
Aber wir könnten weiterfragen, wie dieser recht allgemeine Begriff im Laufe der Entwicklung und in unserer speziellen Situation ausgefüllt und angereichert wurde. Was das, was Lincoln "allgemein" formulierte, denn im Speziellen bedeuten könnte.
Und auch hier hilft uns Meyers Lexikon weiter; mit einer schönen Abhandlung vom verstorbenen Carlo Schmid. Überschrift: "Demokratie - die Chance, den Staat zu vermenschlichen".
Und schon mit dieser Überschrift können wir etwas anfangen. Sie meint doch z.B. auch, dass der Mensch höher stehe und höher zu werten sei als zum Beispiel das Bemühen, die Produktionsapparate zu perfektionieren oder die Administrationsapparate. Und das sicher ganz real, im Alltag, im Großen und im Kleinen. Und die Überschrift zeigt, dass Carlo Schmid der Meinung war, dass eine solche „Wertschätzung“ in der Demokratie die Chance hätte, sich zu realisieren.
Weiter schrieb Carlo Schmid unter anderem:
"Die Technik der demokratischen Prozeduren hat ihren letzten Sinn darin, das Zusammenleben der Menschen so in Verfassung zu bringen, dass der Würde aller Genüge getan wird und allen - auch Minderheiten - institutionell die Möglichkeit gegeben wird, ihr Vermögen in Freiheit entfalten und dadurch Selbstverwirklichung und Wesensbejahung finden zu können. Was hierzu gehört, ist im Laufe eines langen geschichtlichen Prozesses als "Menschenrechte" in das politische Bewusstsein der Gesellschaft eingegangen...''
Und weiter unten:
"Durch die Rezeption der Menschenrechte ist Demokratie neben einer politischen zu einer moralischen Kategorie geworden." Die Bürger wollen "mündig sein und nicht nur Objekte obrigkeitlicher Vorsorge" usw.
Carlo Schmid wies auch darauf hin, dass Demokratie und ihre Grundsätze nicht nur auf den Staat und seine Organe anzuwenden seien sondern auch in den Menschen treffenden Bereichen des Berufes, des Alltags allgemein.

Und dann eine für mich zentrale Passage:
"Demokratisches Bewusstsein setzt das Vertrauen des Menschen in ihn selbst und in die Nebenmenschen voraus, mit denen er in der staatlichen Gemeinschaft zusammenlebt. Demokratie ist kein Automat, der nur eingestellt zu werden braucht, um zu bieten, was man sich von ihr verspricht. Demokratie ist ein Angebot an uns alle, mit ihrem Instrumentarium so umzugehen, dass der Mensch auch im Staate immer in der Mitte steht. Sie ist noch nicht das reine Gefäß der Menschlichkeit; sie bietet uns aber Mittel an, mit deren Hilfe wir den Staat vermenschlichen können."
Und kann man nicht d a s nun tatsächlich seiner Arbeit zugrundelegen?
Wir möchten das in unseren Büro tun mit unserer Arbeit an Architektur. Und das hat Folgen, denn damit wird Architektur, die politisch verantwortet werden soll, von einer zunächst formalen, architektonischen, technischen, praktisch-funktionalen, juristischen und administrativen Angelegenheit auch zu einer moralischen.
Und niemand mehr kann sich zurückziehen darauf, dass der Architekt nur "im Auftrage" handele.
Und darum liegt es an uns, die Möglichkeiten, die Mittel, die unsere Verfassung bietet, auch zu nutzen, mit dem Ziele, Staat und in unserem Falle Architektur zu vermenschlichen.
Und an diesem Punkte werden erkennbar oder wenigstens erahnbar die in unserer speziellen Situation als freiberufliche Architekten, die wir uns "Freie Architekten" nennen, kräftezehrenden und katastrophalen Auseinandersetzungen mit den Apparaten, die innerhalb ihres Ressorts exekutieren, mit deren Vertretern, die zum Teil feindselig uns unsere mögliche Freiheit nehmen wollen und die zwänge überstülpen, denen sie sich unterworfen haben, wobei gerade dasjenige, was im Mittelpunkt des Ideals unserer Verfassung steht, tendenziell unmöglich gemacht wird, nämlich die Möglichkeit und die Aufgabe, den Staat zu vermenschlichen. Diese Aufgabe erfordert persönliches Engagement; sie kann nicht aus Verfahrensregeln abgeleitet werden; auch dann nicht, wenn man meint, diese Regeln einhalten zu müssen.
"Denn die Macht des Menschen, die nicht von seinem Gewissen verantwortet wird, wird von Dämonen besetzt". Das war Romano Guardini.
Die nächste Frage:
Welche Bauaufgaben, welche Aufgaben allgemein dieser Anspruch denn nun trifft, kann man beantworten mit: Im Idealfalle a l l e.
Aber wieweit greifen in Realität denn demokratische Prinzipien - zum Beispiel in der Präzisierung Carlo Schmids - ? Da sieht es nun schon anders aus. Wie hätten sonst solche Universitätsbauten entstehen können, solche Großsiedlungen, Massenwohnungsbauten wie Märkisches Viertel, Industrieanlagen in Naturschutzgebieten, Stadt- und Regionalplanungen, wie diese tatsächlich heute noch praktiziert werden usw.?

Man handhabt demokratische Prozeduren meist sehr routiniert, ohne die den Begriff "Demokratie" heute bei uns ausfüllenden Detaillierungen, ohne die diesen Begriff füllenden Werte zu beherzigen, ohne die ernsthafte Absicht, sich um die zentrale Aufgabe zu bemühen, die eben darin besteht, den Staat, darüber hinaus unser Zusammenleben menschlicher gestalten zu wollen. (Ich sollte hier hinweisen darauf, dass uns eine weitere zentrale Aufgabe zugefallen ist: den Schutz unserer Welt).
Das nächste Problem:
Demokratische Architektur setzt voraus demokratische Verhältnisse im direkten und speziellen Falle und den Willen, diese zu schaffen dort, wo sie nicht existieren.
Das Problem liegt nicht in Architektur zuerst, nicht zuerst in der Gestaltungskraft des Architekten (obwohl auch diese einen Beitrag leisten kann dazu, Architektur zu vermenschlichen); das Problem liegt vor Architektur, in der täglichen Praxis, in einer Gesellschaft, die ihre Hauptaufgabe darin sehen sollte, eben unseren Staat, unseren Alltag, unser Zusammenleben zu vermenschlichen (wobei ich ab jetzt den Umweltschutz in diesen Begriff einbeziehe). Vielleicht könnte das manch andere Frage in ein anderes Licht stellen, z.B. ob und warum wir 140 oder 200 Milliarden DM Exportüberschüsse pro Jahr machen und auch die Frage nach der Macht.)
Macht baut sich auf - unablässig - und die Apparate, die wir erfunden haben, zunächst zu unserer Hilfe, optimieren sich selbst zuerst und beschneiden unseren Freiraum, unseren Spielraum, unseren Gestaltungsraum, die Chance, unser Leben menschlicher zu gestalten. sie entwickeln sich, ohne Bezug
zu einer göttlichen Ordnung, ohne Bezug zur Ordnung der Natur, ohne Bezug zu der dem Menschen innewohnenden Ordnung. Den ahumanen Mechanismen der Apparate wirken wir entgegen, indem wir unsere Bindungen an diese Ordnungen einbringen, im Alltag, bei unserer Arbeit, im Zusammenleben usw. Indem wir - unserer Meinung nach - unangemessene Ansprüche zurückweisen, schaffen wir Raum für die Möglichkeit, eine menschlichere Welt zu schaffen, und das - wie gesagt - v o r Architektur.

Wie kommt das nun in Architektur?
Kann der Architekt das bewirken? Wenn ja, dann wie? Und wie sieht demokratische Architektur aus?

Vielleicht ist das angestrengte Schauen auf das fertige Produkt Architektur problematisch. Vielleicht ist das fertige Produkt nicht mal das Wichtigste. Vielleicht ist das fertige Produkt ein Ergebnis oder vielleicht sogar nur ein Zwischenstadium. Bertolt Brecht schrieb über die Art langdauernder Werke. Er verwendet dabei den Begriff "Dauern" und meint diesen wohl im Sinne von existieren, lebendig, eben "Dauern".

Er beginnt:
"Wie lange
Dauern die Werke? So lange,
Als bis sie fertig sind.
Solange sie nämlich Mühe machen,
Verfallen sie nicht.
Einladend zur Mühe,
Belohnend die Beteiligung,
Ist ihr Wesen von Dauer, solange
Sie einladen und belohnen ..."

und endet mit:

"... Die lang dauernden
Sind ständig am Einfallen,
Die wirklich großgeplanten
Sind unfertig".

Werke dauern lange, solange, wie sie uns beschäftigen. Je länger sie dauern, umso reicher können sie werden. Was fertig ist, was niemanden mehr berührt, ist am Ende. Insofern kann der Ansatz, Architektur machen sei das Umsetzen vorgegebener Raumbücher im Rahmen vorgegebener.
Dienstanweisungen mit Hilfe eines funktionsfähigen Kontrollsystems, und das so schnell und reibungslos wie möglich, nicht zur Produktion von Werken der Kultur führen.
Und wir können weiter sagen, dann sind auch diejenigen Organisationen, die Bauherren heute einschalten, um die Ängste und Inkompetenz ihrer Mitarbeiter zu überbrücken, nicht geeignet, zur Architektur zu verhelfen.
Architektur wird diejenigen Kräfte widerspiegeln, die bei ihrem Entstehen wirksam waren. Wenn Architektur vielfältig und differenziert betrachtet wird, so wird Architektur das widerspiegeln. Und wenn demokratische Voraussetzungen vorhanden waren und wenn solche Prozesse praktiziert wurden beim Entstehen von Architektur, dann müsste eigentlich eine tendenziell demokratische Architektur entstehen.
Aber wir sind in einer verzweifelten Situation, wenn wir aus einer undemokratischen Situation heraus demokratische Architektur schaffen sollten. Architektur ist der Spiegel der Verhältnisse. Architektur ist der Spiegel des Geschehens. Was ist wichtiger, Spiegel oder Geschehen und Verhältnisse? Wenn wir von einem Architekten verlangen, er solle demokratische Architektur planen und wir bieten Ihnen ademokratische Verhältnisse, so verlangen wir, dass er das Spiegelbild verändert, fälscht oder wenigstens schönt.

Und nun ein weiteres Problem.
Normalerweise arbeiten Architekten, Ingenieure, Bauherren etc. 4 oder 5 Jahre an einem Neubau. Wie kommen wir raus aus dieser Zeit? Es kann doch für die Beteiligten nicht unerheblich sein, wie diese Jahre verbracht wurden und wie während dieser Zeit gearbeitet wurde, wie miteinander und mit der Welt umgegangen wurde, in gegenseitiger Achtung, unter Beteiligung der Betroffenen, unter Beachtung der Würde aller usw. usw. oder in ängstlicher Erfüllung obrigkeitlicher Erlasse?
Wir vermenschlichen unsere Gesellschaft, wenn wir die Zeit, wenn wir die Wege, wenn wir die Mittel, derer wir uns bedienen, vermenschlichen. Beim Endprodukt Architektur können wir nicht anfangen.
Vielleicht ist der Weg das Ziel?

Wir werden die jedenfalls bei der Arbeit an Architektur gemachten Erfahrungen übertragen auch auf andere Bereiche. Sind wir nun nach getaner Arbeit offener, menschlicher, gereifter? Oder sind wir dann härter, verschlossener, rechthaberischer?
Das ist das eine, das andere ist, dass die Architektur, die in der offenen, menschlich akzentuierten Art entsteht, letztlich dann auch anders aussehen wird, eben offener, menschlicher als diejenige, die wir heute an allen Ecken und Enden sehen, die erlassen, verwaltet und exekutiert wird, dass sie anders aussehen wird, anders benutzt werden wird, kurzum eine andere Welt schaffen wird.
Die offene Architektur wird weniger von oben her geordnet sein, weniger gut verwaltet, weniger rechthaberisch, weniger verschlossen, einfach neuer, mit einem Anteil des Chaotischen, das ja erforderlich ist, wenn Neues entstehen soll.
Ich verstehe schon, dass Mancher in einer Welt, in der wissenschaftliche und technische Entwicklung uns davonlaufen, versucht, die Dinge wenigstens uns in seinem administrativen Bereich festzuhalten, ordentlich wie er meint. Er vergisst dabei, dass die Ordnung, die er praktiziert, aus den Konditionen von vorgestern entstanden ist, gestern schon alt war und heute das Entstehen einer lebendigen Architektur behindert und morgen die Unordnung selbst ist.
Aber das ist noch nicht alles. Das Neue, was "zur Welt kommen will", ist oft ungestüm- auch in Architektur- es erscheint uns ungeordnet - das kommt daher dass wir seine Ordnung noch nicht erkannt haben - es ist anders als wir es gewohnt sind; der Anteil des Chaotischen beunruhigt uns. Und auch hier wird der Architekt tätig. In dem Bemühen, das als nicht geordnet Empfundene zu ordnen, sucht er für das Neue - wenigstens - eine Ordnung im Formalen. (Und des Ästhetischen, aber darüber müsste man länger sprechen). Und diese Ordnung des Formalen kann nicht einfach "aufgesetzt" werden. Man tut es wohl hin und wieder, aber eben mit schlechten Ergebnissen. Diese Ordnung des Formalen muss aus dem Material des Formalen, weiter: diese Ordnung muss aus dem gesamten Material von Architektur, was ja ein Spiegel der wirksamen Kräfte ist, entwickelt werden.
Bei einer tendenziell demokratischen Architektur kann diese neue formale Ordnung nicht die Ordnung der Klassik sein. Diese war ein Spiegel einer scheinbar hierarchisch unveränderbar geordneten Gesellschaft. (Sicher, auch das wird gemacht. Ich verstehe das als Versuch, den Spiegel einer vermeintlich in Ordnung gewesenen Zeit und Situation zu reproduzieren, in der Hoffnung, damit in Ordnung seiende Verhältnisse anzuzeigen). Die neue formale Ordnung muss und wird von sich aus die beschriebene Art des Demokratischen widerspiegeln. Die tendenzielle Freiheit des Einzelnen, seine Individualität, seine Möglichkeit, sein Material und seine Gestalt anzunehmen, sein im Glücksfall freiwilliges sichfügen in eine Gesellschaft usw.
Das kann man schon erreichen. Am selbstverständlichsten eben dann, wenn die Voraussetzungen - wie beschrieben – gegeben waren. Erzwungen in der Erscheinung dann, wenn Voraussetzungen und formale Ordnung sich nicht decken.
Aggressiv und vielleicht frech bei eher experimentellen Bauten, moderater bei offiziellen Bauten - wie zum Beispiel beim Deutschen Bundestag.

Also: Vorausgesetzt das Können der Beteiligten ist vorhanden und demokratische "Verhältnisse" (in der von Carlo Schmid beschriebenen Konkretheit) sind vorhanden, dann könnten wir demokratische Verhaltensweisen und Praktiken einüben (Stichwort: "Der Weg ist das Ziel" und "Von lang dauernden Werken") und dann könnte eine demokratische Architektur entstehen. Zuerst sicher in den Bereichen, die vom Politischen her direkt zu verantworten sind. (Ein heutiges Parlament kann wohl auch in einem Parlamentsgebäude aus der Zeit der konstitutionellen Monarchie tagen. Aber das ist ein ganz anderes Thema).
Um Missverständnissen vorzubeugen:
Es ist nicht so, dass heute vor allem beklagenswerte Zustände wären. (Jedenfalls nicht für uns, die wir heute hier sitzen). Es ist aber auch nicht so, dass wir heute dem geschilderten Ziele "demokratische Architektur" näher kämen. Und es wird nicht so sein, dass wir den Ideal-Zustand endgültig und abschließend erreichen könnten.
Mir ging es darum, darzustellen, dass wir unsere sicher begrenzten Energien einsetzen könnten, uns solchem Ziele zu nähern und dass man den zunächst "allgemeinen Begriff" "demokratische Architektur" ausfüllen kann und dass es zu Problemen kommen muss - in unserer Zeit und in unserer Situation - wenn wir unsere - wie gesagt - begrenzten Energien konzentrieren auf Verfahren, die von sich aus am Ziele vorbei führen.

Eine kurze Schlussbemerkung zu konkreten Vorgängen, um zu zeigen, dass das theoretisch skizzierte durchaus Bezug zur Praxis hat.
Die vom Volke Gewählten sind nicht von vornherein kompetenter, das Politische betreffend, aber sie sind gewählt und beauftragt, das Politische zu vertreten und politisch wirksam werden zu lassen. Und das macht hin und wieder Probleme.
Ein Beispiel, welches den Bereich der Frau Ministerin betrifft. Ihr Vorgänger hat im letzten Jahr auf der Deubau gesagt, dass es einen allgemeinen Wohnungsmangel nicht gäbe. Wir wissen alle: statistisch mag das stimmen. In Ballungsgebieten und im Rahmen unserer realen Verhältnisse ist diese Aussage aber so nicht akzeptabel. Statistisch gab es keinen Wohnungsmangel. Aber es gab und es gibt Wohnungsnot. Das wusste jeder, der seine Nase ein bisschen in den Wind streckte. Und die anschließend notwendige Wende war sicher auch für den Minister unerfreulich. Nun fragen wir uns, wie laufen in einem solch großen Apparat - wie in einem Ministerium - die Informationen. Sagen die Beamten ihrem Minister tatsächlich nur dasjenige, von dem sie meinen, dass er es gerne hören möchte. Vorauseilender Gehorsam, so nennt man das wohl. Dann wären Sie, Frau Ministerin, schrecklich isoliert, Sie müssten sich irgendetwas schaffen, was Sie außerhalb Ihres Apparates informiert. Die plötzlich losgemachten Milliarden werden möglicherweise fehllaufen - im Sinne demokratischer Architektur. Die Realisierung ist nicht vorbereitet. In den Ballungszentren fehlen die Bebauungspläne, vielleicht sogar die Flächennutzungspläne aufgrund einer bis dahin restriktiven Entwicklungspolitik, es fehlen die Wege, es fehlen die Organisationen usw., die in der Lage und bereit sind, die Residenz des Einzelnen, der Gruppe, der Familie zu schaffen. (Wie wird hier die sogenannte Familienpolitik wirksam?) Wie sollte denn jemand bei einem Landpreis von mehr als 1.000 DM/qm anderes bauen als das, was heute ohnehin noch gebaut wird? Das heißt: Das Geld wird wohl die alten Wege gehen und wir werden wohl die alten Erscheinungen produzieren, Erscheinungen, die wir alle seit Jahrzehnten beklagen. Viel Geld weg und kein Fortschritt in Richtung demokratisches Bauen, d.h.: zum menschlicheren Bauen hin.

Und dann kurz noch zum Neubau des Deutschen Bundestages. Ich kann das nicht aussparen, auch wenn ich dies möglicherweise gerne aussparen würde. Wir, die Architekten, bekommen Schreiben, Unmengen, vor allem juristisch relevant, die sagen zum Beispiel "Ich genehmige", "Ich genehmige nicht", "Ich verlange", es wird "erlassen" und "angeordnet" etc. Nun wissen wir nicht, ob innerhalb der Verwaltung tatsächlich ein Ton vorherrscht, den man eigentlich nur in der Karikatur ostelbischer Junker zu kennen meint. Wie dem auch sei, einem freien Architekten gegenüber ist ein solcher Ton und sind solche Verfahren nicht angebracht, und ich bitte darum, dass das geändert wird. Dann, wer ist denn dieses "Ich". Der Leiter des Amtes, welcher unterschreibt? Haben Sie, sehr verehrte Frau Präsidentin, ihm die Vollmacht gegeben, so mit uns umspringen zu können? Der Präsident der Bundesbaudirektion? Ein Mitarbeiter des Ministeriums, ein nervöser Staatssekretär? Ein Minister, Frau Bundestagspräsidentin etwa selbst? Ich glaube, wir sollten nicht zulassen, dass all die, die ich nannte, sich hinter Ihnen verstecken können.
Und man kann sich auch nicht von jedem vertreten lassen. Und wenn sie möchten, dass das neue Gebäude vom Politischen und vom Lebendigen her geprägt wird, dann müsste das Parlament mit seinem Architekten sprechen. Wenn sie nur den großen Apparat der Exekutive zwischenschalten, wird manches herausgefiltert, und manches wird verstärkt. Herausgefiltert wird das Neue, das Interessante, das überraschende, der Anteil Chaos, dasjenige, was da von sich aus auf die Welt kommen will, das Leben, das Experiment und ich meine, auch das Demokratische. Und verstärkt wird das Administrative, das Verfahrensgemäße, das Schondagewesene, das Guthandhabbare, das Abgesicherte, das Risikolose, das Langweilige und auch das verzwungene.
Und da Architektur - wie mehrfach erwähnt - nur diejenigen Kräfte widerspiegeln kann, die bei ihrem Entstehen wirksam waren, muss das Konsequenzen auf die Gestalt des neuen Parlamentsgebäudes haben. Und das kann uns alle doch nicht unberührt lassen. Sie, sehr verehrte Frau Präsidentin, tragen nun mal unsere Hoffnungen, Und deshalb bitte ich Sie, uns zu helfen.

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